"Benehm dich doch endlich mal wie ein Mädchen!"
Als ich diesen Satz mit 14 Jahren das erste und nicht letzte mal an den Kopf geschmissen bekam war ich erst einmal total verwirrt. Denn ich war ein Mädchen, benahm ich mich dann nicht auch so? War ich so anders als alle anderen Mädchen? Warum hatte mir das nie jemand gesagt und viel wichtiger: Wie sollte ich denn als Mädchen sein um ein richtiges Mädchen zu sein? Was war falsch an mir?
Heute weiß ich, nichts war falsch, ich war einfach nur ich! Ich trug weite Hosen, schlabbrige Shirts und mein liebstes paar Schuhe waren ausgelatschte Adidas Superstars. Meine besten Freunde waren Jungs und ich fuhr jedes Wochenende mit meinem Vater von Autorennen zu Autorennen. Meine liebste Musik machte die Band Rammstein, meine Lieblingsfilme waren Star Wars und Mad Max und der erste Mann in den ich mich so richtig verliebte war Legolas, ein Elb. Mein Zimmer war quietschgelb gestrichen, meine Bettwäsche zierten rosa Einhörner und an den Wänden klebten Poster aller Art aus Bravo, Popcorn und Co. Neben meinem Bett lagen Bücher, Zeitschriften über Autos aber auch Bravo Girl und Mädchen und im Bad häuften sich die ersten Lidschatten in sämtlichen Farben des Regebbogens. Ich hatte einen einser Notendurchschnitt in Biologie, Chemie, Physik, Deutsch und Geschichte. In Mathe und Sport kackte ich dagegen so richtig ab und bekam mit Ach und Krach eine vier zu Stande. Ich war also nie typisch dies oder typsch das ... Ich war einfach nur ICH!
Was also wollte man mir mit diesem Satz sagen?
Was der Jenige nicht wusste, dass er damit eine ziemliche Krise auslöste. Denn von da an versuchte ich mich anzupassen. Ich überlegte was ich als Mädchen tun könnte um mehr wie ein Mädchen zu wirken (fragte meine damals selbst in einer jugendlichen Findungskrise steckenden Freundinnen) und das Erste was ich tat, war meine Garderobe zu ändern. Aus weiten Hosen und bequemen Shirts wurden enge Röcke und Tops (in denen ich mich bis heute nicht wohl fühle), trugen und tragen Mädchen aber so. Ich verkleidete mich, lies mir die Haare wachsen, denn Mädchen haben lange Haare. Schminkte mich täglich, denn das taten die anderen ja auch.
Dann fing ich an meinen Freundeskreis anzupassen, Jungs wurden gegen Mädchen getauscht, Mädchen waren plötzlich Freundinnen von mir die ich zuvor belächelt hatte und Jungs die meine Freunde waren "himmelte" ich auf einmal an, weil alle es taten. Das Schlimmste was ich tat um von anderen als Mädchen angesehen zu werden, war wohl mit meinem Vater nicht mehr zu den Rennen zu fahren. Das tat ein Mädchen einfach nicht. Ein Mädchen blieb unter Mädchen und machte Beauty Wochenenden oder fuhr zu den ersten Discos um lange weg zu bleiben, zu tanzen und zu knutschen. Aber ich war nie die, die tanzte, trank und knutschte. Ich war die die sich unterhielt, Cola inhalierte und betete das der Abend ein schnelles Ende fand. Und mein Vater, der war natürlich nervig, das gehörte sich einfach so - bloß nicht sagen das man lieber mit Daddy am Rand eines Rennplatzes stehen will oder verdreckt neben einer offenen Motorhaube mit allerhand Werkzeug hantiert. Das wäre ja nicht typisch Mädchen gewesen. Und das wohl schlimmste war, niemand sagte das ist mit den Veränderungen aufhören sollte, auch meine (verwirrten) Freundinnen nicht.
War ich jetzt ein richtiges Mädchen?
Für die Gesellschaft und die die es erwarteten sowie Freunde wahrscheinlich schon ABER für mich nicht! Ich verstellte mich, fühlte mich nicht wohl und lebte bis zum Abschluss eine Rolle die mich innerlich krank gemacht hat. Ich habe mich von dem verändern lassen was mich eigentlich hätte bestärken müssen - mein Umfeld, meine Freunde, meine Familie. Ich lies es zu das mich ein blöder Satz und ein zwei komische Kommentare komplett verwirrten und mein Selbstbewusstsein auf die Größe einer Erdnuss geschrumpft wurde. Klar es wuchs auch wieder während ich bemerkte das ich Komplimente für meine tollen langen Haare oder das modische Outfit, den perfekten Lidstrich oder ähnliches bekam aber es waren keine Komplimente für das was mich eigentlich ausmachten. Ich hätte mir gewünscht wenn jemand meine Ausdauer im Lesen, meinen Wissensdurst in Chemie und Physik oder meine Fertigkeit mit Worten um zu gehen bewusst wahrgenommen und mir dafür ein Komliment gemacht hätte aber Nein das tat so gut wie niemand. Stattdessen kamen nach der Physikarbeit Sätze wie "Wow für ein Mädchen nicht übel!" oder "Hätte nie gedacht das ein Mädchen das weiß!". Das sah ich nicht als Kompliment und tue es auch heute nicht, denn Mädchen sind schlau, extrem schlau und manchmal sogar noch schlauer als Jungs aber warum dürfen wir das nicht zeigen? Ja weil es einfach nicht typisch Mädchen ist und das schon mal gar nicht in Bereichen wie Mathe, Physik oder Chemie!
Erst als ich meine Lehre anfing begriff ich, dass ich was ändern muss, dass ich mich habe in meiner verwirrten Jugendlichkeit habe beeinflussen lassen und so nicht mehr ich selbst war. Ich musste wieder zu dem Menschen werden der ich einmal war. Das MÄDCHEN das Autorennen liebt, mit ihrem Vater alte amerikanische Autos repariert, in Jeans und Shirts lebt, ausgelatschte Schuhe trägt, Jungs als beste Freunde hat, Samstagsabends lieber Mad Max schaut als feiern zu gehen, Rammstein verehrt und bis heute jeden Text im Schlaf mitsingen kann. Ich musste wieder ich werden.
Bin ich ein Mädchen? War ich je ein Mädchen? Was bedeutet es ein Mädchen zu sein?
Gar nichts, es ist eine Bezeichnung die uns die Gesellschaft auferlegt hat.(DAS IST MEINE MEINUNG DAZU UND MEINE FREIE ANSICHT; ICH BITTE DIESE ZU RESPEKTIEREN) Du hast eine Vagina dann bist du ein Mädchen. Du hast einen Penis also bist du ein Junge. Fertig. Als Mädchen liebst du rosa und als Junge blau. Mädchen spielen mit Puppen und Jungs mit Autos. Ich für meinen Teil benutze diese Bezeichung und die Klischees auch viel zu oft, doch dann sehe ich die Kids in meiner Kita und merke, dass es ihnen absolut wurscht ist mit was, wem oder wie sie spielen. Sie sind gelöst, machen was sie wollen und interessieren sich nicht die Bohne was andere von ihnen erwarten. Sie sind in diesen Momenten einfach nur ein Kind, einfach nur ein Mensch. Und so sollte es bei Jugendlichen, Erwachsenen und älteren Menschen auch sein. Nur weil ich eine Frau bin, heißt das noch lange nicht das ich all diese Klischees erfüllen muss. Ja ich mag immer noch pink, manchmal kommt bei mir auch "das Mädchen" zum Vorschein und trotzdem bin ich aber immer noch die kleine Rotzgöre die mit 6 Jahren ihre erste Zündkerze in einen alten 68er Camaro eingesetzt hat, die mit 8 mit Pfeil und Bogen durch den Wald geschossen ist, die mit 12 ihre weißen Lackschuhe nach der Firmung in den Bach geschmissen hat und mit 14 fast einen Jungen geküsst hat und dann doch lieber eine geschmiert hat.
Ich bin ich mit allem was dazu gehört und ich lasse mich nicht in eine Schublade stecken bzw werde ich mir nie wieder vorschreiben lassen was ich zu tun oder zu lassen habe. Früher war es der Satz "benimm dich doch mal wie ein Mädchen", jetzt bekomme ich "Wann willst du endlich heiraten und Kinder bekommen, du bist schließlich eine erwachsene Frau!" zu hören. Es hört nicht auf, wir unerschrockenen, starken, kämpfenden Frauen werden uns immer wieder damit konfrontiert sehen, dass man uns in die Typisch Mädchen, Typisch Frau Ecke drängen will. Wäre ich nicht mental so stark wie ich es mittlerweile bin, würde ich vielleicht wirklich in Depressionen und Selbstzweifel versinken. Würde mir auf Gedeih und Verderb einen Mann suchen, heiraten und Kinder bekommen - ABER das bin ich nicht. Ich bin stark und stehe hier und sage NEIN! Nein das will ich nicht, nein so ist nicht mein Plan fürs Leben. Ich will leben wie ich will und nur weil andere meinen das ein altes, verstaubtes Weltbild aus den den letzten Jahrhunderten aufrechterhalten werden muss, muss ich noch lange nicht dafür sorgen das dies auch passiert.
Ihr Mädels da drausen, ob ihr 12, 14, 18 oder über 20 oder sogar über 30 seit, ihr habt euer Leben in der Hand. Ihr bestimmt wer, was und wie ihr seid. Ihr könnt tragen was ihr wollt, ihr könnt die Hobbies haben die ihr wollt und ihr könnt über euer Leben bestimmen wie ihr wollt. Ihr allein bestimmt wie eure Lebenskurve sich entwickelt. Ihr bestimmt ob ihr Familie dem Job vorzieht oder umgekehrt. Ihr entscheidet wen, was, wo oder wie ihr Liebt und Liebe ausübt. Nichts und niemand hat euch Vorschriften zu machen und ich wünschte, ich hätte früher jemanden gehabt der das immer und immer wieder zu mir gesagt hätte. Aber ich habe mich leiten lassen, wurde unglücklich und habe erst später aber zum Glück nicht zu spät, begriffen worauf es wirklich ankommt.
Seit stark, bleibt stark und gebt diese Stärke weiter und macht es wie ich - lacht über Klischees und tragt beim Auto reparieren eure pinke Handwerkerhose mit stolz geschwellter Brust, hört Musik mit Wums und trinkt dabei einen Prosecco! Prost!
Dieser Text bezieht sich auf das Buch "How to be a Girl" von Julia Korbik aus dem Thienemann Esslinger Verlag. Vielen Dank für das Rezensionsexemplar und vielen Dank für diese tolle Aktion - Mainwunder.
Eine Rezension wird folgen!